Tormenta, Du bist als Deutscher geboren, mit deutschem Namen und Pass. Jetzt bist Du auch noch Afrikaner und hast einen afrikanischen Namen, wirst sogar als “weißer Griot” (Geschichtenerzähler) bezeichnet. Ich finde das sehr außergewöhnlich! Ist das einzigartig oder gibt es da auch noch andere Beispiele?
Nein, so einzigartig bin ich da nicht. Johnny Clegg zum Beispiel ist nach Südafrika gegangen und hat sich mit der Zulu-Kultur auseinandergesetzt (siehe CD “One Life”). Er ist damit sogar recht berühmt geworden.
Trotzdem, es gibt nicht sehr viele Beispiele dafür, dass sich ein Weißer tief in eine afrikanische Kultur begibt. Das geht nämlich nicht, ohne die einheimische Sprache zu lernen, da sie der Schlüssel zum tieferen Verständnis ist. Das tun nicht sehr viele. Ein paar Ärzte vielleicht, die länger im Busch leben und direkt mit der Bevölkerung reden müssen.
Und wie ist das bei Dir gewesen, hast Du das geplant und wie bist Du dabei vorgegangen — was wolltest Du erreichen?
Geplant habe ich gar nichts. Es ist mir passiert. Die Dinge im Leben entwickeln sich aus sich selber. Wir brauchen uns nicht einbilden, dass wir alles bestimmen können. Aber ich war bereit dafür, das kann man als Vorbedingung ansehen.
Wie so vieles im Ablauf des Lebens spielen echte oder scheinbare Zufälle eine große Rolle. Ich hatte mich für eine Band in Deutschland nützlich gemacht und wurde im Anschluss daran gefragt, ob ich sie nach Afrika begleiten wolle. Ich habe sofort zugesagt, all mein Hab und Gut verschenkt, meine Schwabinger Wohnung einem Freund überlassen und hatte das Gefühl, mein neues Leben beginnt jetzt.
Wir flogen nach Gambia, Westafrika (von Senegal umschlossen), und dort ging es gleich weiter nach Georgetown (Jang-Jang Bureh). Wir waren noch nicht lange hier, da verabschiedeten sich die Veranstalter und ließen mich zurück. Ich sprach nicht einmal Englisch, konnte mich also mit niemandem unterhalten, kannte auch noch niemand. Aber ich beschäftigte mich mit Trommeln (habe Schlagzeug gelernt). Den Kindern dort verdanke ich, dass sie mir die Sprache beigebracht haben, sowohl das Pidgin-Englisch wie auch das afrikanische Mandinka.
Ich wurde von allen akzeptiert (nicht ausgegrenzt, wie es hier im umgekehrten Fall gewesen wäre), war überall dabei und verstand anfangs nur das, was ich emotional begriff. Das war gar nicht so wenig. Man muss nur sensibel genug dafür sein. Zum Beispiel verstehen manche Haustiere ihr Herrchen scheinbar aufs Wort, werten dabei nur Stimmlage und Körpersprache aus. So erging es mir am Anfang.
In meinem Umfeld war der Kora-Spieler und Geschichten-Erzähler Basuru Jobarteh, der öfters kam, um vor Touristen zu spielen. Da durfte ich nach einer Weile schon neben ihm sitzen. Zwei Jahre später nahm er mich als Schüler auf und holte mich in sein Dorf Boraba (bekannt weil überwiegend von Griots bevölkert), wo ich auch bei seiner Familie wohnte.
Ich lernte fleißig, meistens zehn Stunden pro Tag. Die Kora war mir früher schon “aufgefallen” und hatte bei mir eine bis dahin fremde und stark emotionale Reaktion hervorgerufen. Ich wusste damals nicht, was mit mir passiert. Vielleicht so etwas wie das Gefühl, wenn einem eine höhere Macht eine Tür zur weiteren Entwicklung öffnet. Die uneigennützige Aufnahme bei meinem Lehrer und Mentor (ich war völlig mittellos und konnte bestenfalls durch Hilfeleistungen mich etwas revanchieren) dankte ich durch fleißiges Lernen. Dazu gehörte zum reinen Musikmachen vor allem das Studium der Kultur und die Familiengeschichten eines ganzen Volksstammes.
Hat das jetzt mit dem “Griot” zu tun? Mit dem Beruf des Geschichtenerzählers, welcher mangels schriftlicher Geschichtsschreibung dieses per Gesang und Geschichten weitergibt?
Ja genau. Darin liegt eine großartige Tradition. Die Griots erzählen einem Betroffenen oft ihre Familiengeschichten und werden dafür entsprechend entlohnt. Davon leben sie. Dabei wandern sie tatsächlich von einem zum anderen. Sie sind einerseits wandernde Historiker, andererseits Künstler und geben ihr mündlich überliefertes Wissen in Geschichten und Gesängen wieder. Eine tolle Kombination, nicht so trocken wie bei uns! In diesem Beruf gibt es absolut anerkannte Größen. Sie sind weithin berühmt.
Wie kommt es, dass der Griot jeweils die richtige Familiengeschichte weiß?
Die Familien haben ihren Familien-Namen, der sich nicht verändert und der die Zugehörigkeit dokumentiert, egal, wohin die Familie gewandert ist. Selbst Tausende von Kilometern entfernt ist ihre Zugehörigkeit zum Familien-Klan offensichtlich. Der Griot muss ALLE Familiengeschichten kennen.
Kannst Du mir in etwa sagen, wie viel ein Griot da auswendig lernen muss?
Ja, ein dickes Buch etwa.
Und das hast Du alles gelernt, noch dazu in einer fremden Sprache?
Ja, das ergab sich so, schließlich war ich der Schüler eines Griots, eines Vertreters der Jobarteh-Familie. Ich vergaß zu erwähnen, dass die Familien normalerweise auch einem Beruf zugeordnet werden. Das galt ziemlich streng für die Vergangenheit und weicht sich erst in letzter Zeit auf. Die Jobartehs waren immer Griots, und mindestens ein Nachkomme wählte diesen Beruf, der vom Vater an den Sohn weitergegeben wurde. Da ich wie ein Sohn aufgenommen und ausgebildet wurde, hatte ich später auch die Gelegenheit, die Prüfung für einen Griot abzulegen.
Das halte ich für ein Zeichen von hoher Akzeptanz und familiärer Nähe. Wie lange warst Du denn in dieser Familie “zuhause”?
Etwa acht Jahre. Das mit der Prüfung lief übrigens so ab: Eines Tages erschien der Ältestenrat und verlangte von mir, das eine oder andere Lied auf der Kora zu spielen und Geschichten von diversen Familien zu erzählen. Nachdem ich sie überzeugen konnte, dass ich gut gelernt hatte, gingen sie zu meinem Lehrer und sagten, dass ich die Reifeprüfung bestanden habe. Der Tradition folgend adoptierte mich mein Lehrer und ich bekam seinen Familien-Namen. Nur den Vornamen Tormenta (starker Wind) bekam ich vorher schon. So heiße ich jetzt Tormenta Jobarteh und diesen Namen habe ich auch in meinem Pass eintragen lassen.
Tormenta, Du hast zwei Seelen in Deiner Brust, gehörst zwei Kulturen an. Stört sich das und konkurriert miteinander?
Nein, überhaupt nicht. Das existiert nebeneinander und miteinander. So wie Singen und Autofahren kein Widerspruch darstellt. Eher ergänzt es sich. Jedenfalls in meiner Person. Andere mögen anders empfinden.
Das verblüfft mich nicht, habe ich sogar erwartet. Meine eigenen Erfahrungen mit dem schwarzen Kontinent sind ähnlich, wenn auch nicht so intensiv wie bei Dir.
So, nun was ganz anderes. Ich habe anhand Deiner veröffentlichten CDs mitbekommen, dass Du zunächst sehr traditionell Musik gemacht hast, seit einiger Zeit aber und mit geänderter Zusammenstellung Deiner Band “Jobarteh Kunda” den Weg zur Weltmusik eingeschlagen hast, welche die traditionelle Musik als Motor für musikalische Ideen mit internationalen Spielweisen kombiniert. Deine aktuellen Band-Mitglieder vereinigen ja traditionelle Westafrika-Musik (durch Dich), Jazz durch Deinen hervorragenden Saxophon- und Flöten-Spieler Gerhard Wagner, Reggae, Rap und Karibik-Sound zu einem neuen Kunstobjekt.
Das heißt doch, dass Du Dich mit Deiner Musik weiterentwickelt hast.
Ja, stimmt, das tue ich auch bewusst. Wenn ich in Gambia weile, spiele ich durchaus auch fürs dortige Fernsehen und bei anderen Gelegenheiten. In erster Linie natürlich traditionell, aber auch schon europäisch beeinflusst. Wer in Europa längerfristig Erfolg haben will, muss sich vom rein Traditionellen lösen können und Zugeständnisse an westliche Ohren vollziehen. Das wird auch immer wieder von den Platten-Firmen gefordert. Bestes Beispiel ist jenes von Amadou und Mariam aus Mali. Ihren immensen internationalen Erfolg haben sie erst bekommen, als Manu Chau die Choreographie übernahm und westliche Spielweisen einbezog. Natürlich müssen die Musiker mitmachen, sonst geht so was nicht. Aber der Impuls dazu kommt öfters von der Musik-Industrie. Manchmal mit großem Gewinn, manchmal auch mit weniger.
Ich habe diesen Impuls und dem Wunsch, mich weiterzuentwickeln, aus mir selber begründet, ja sogar die Zusammensetzung meiner Band darauf abgestimmt. Die letzten beiden CDs “Ali-Heja” und “AHA!” sind Zeugnis davon.
So eine Umgestaltung einer Band, das geht doch nicht ohne Betroffenheiten ab. Wie geht es Dir damit?
Zunächst einmal muss ich genügend Erfolg vorweisen, um eine komplette Band durchfüttern zu können. Das geht manchmal nicht so einfach. Momentan sind da keine Gewinne möglich; ich finanziere das derzeit überwiegend durch meine Solo-Konzerte. Darüber hinaus muss eine Band sehr viele Jahre zusammenspielen, bis sich eine musikalische Verschmelzung ergibt, die überzeugen kann. Die vorausgegangene Umgestaltung war hauptsächlich davon geprägt, dass ich neue Wege gehen wollte und irgendwie auch gehen musste. Wenn das mit einer bestehenden Kombination nicht gut möglich ist, dann bahnt sich die Veränderung an.
Ein Anlass wie beispielsweise ein kranker Musiker, der zunehmend ausfällt und Ursache für unfruchtbare Diskussionen wird, kann da durchaus der Stein des Anstoßes werden.
Betroffenheiten tun immer weh. Wer aber die Verantwortung für Andere übernommen hat, muss sich den aktuellen Gegebenheiten stellen.
Gerade die Band zwingt mich zum wirtschaftlichen Erfolg. Dabei habe ich viel dazulernen müssen, um nicht über den kommerziellen Tisch gezogen zu werden. Meine Frau unterstützt mich dabei tatkräftig, sie regelt den Bürokram, den ich liebend gerne abgegeben habe.
Wir Musiker haben es mit einer gnadenlosen Musik-Industrie zu tun, bei denen nur das Geld einen Wert besitzt und wo auch tatsächlich viel Geld gemacht wird. Für uns bleibt da nicht viel, obwohl wir die eigentlichen Wertschöpfer sind. Wenn Du zum Beispiel nicht Mitglied bei der Gema bist, gehst Du in den meisten Fällen leer aus, auch wenn diese für Deine Leistungen ordentlich Geld kassieren.
Ja, die Gema, diese unsägliche deutsche Einrichtung, die überall abkassiert, wo in der Öffentlichkeit Musik abgespielt wird, die Fahnder mit teuren Fahrzeugen ausstaffieren kann, welche mit ungemein arroganter Weise unangemeldet Hotels und Wirtschaften “überfällt”, um ihre Interessen durchzusetzen (authentischer Fall bekannt). Und die Musiker selber leben meist nicht sehr komfortabel. Sie gelten offensichtlich nur als “Vorwand” zu kassieren. Ein wirklich tolles Wirtschaftsunternehmen, das im Zuge der Europäisierung abgeschafft werden müsste.
Dazu sage ich jetzt mal nix. Aber ein Lied von Jobarteh Kunda, dass in einem Film verwendet wurde, hat allein durch die Tatsache Einnahmen gebracht, weil wir Mitglied waren. Ohne diese Mitgliedschaft wäre der Komponist trotz Autorenrechte leer ausgegangen. Wenn zum Beispiel das Plattenlabel eine Produktion nicht ordnungsgemäß angemeldet hat, dann kann man jahrelang hinter dem Geld nachlaufen und eventuell sogar umsonst. Nicht meine Schuld, aber mein Nachteil.
Ja, die kommerzielle Seite der Musik ist traurig, wie anderswo auch. Überall mischen Schmarotzer mit, die keine eigene Leistung mitbringen, sich aber erfolgreich zwischen Leistungsträger und Verwertung einschalten und kräftig absahnen. Musiker sind Künstler, und keine Revoluzzer, jedenfalls sehr selten.
OK, neues Thema, was Motivierenderes! Zeig mir doch mal Dein Instrument, die Kora, und erkläre mir ein wenig, wie sie funktioniert. Sie klingt ja wie eine Harfe, sieht aber ganz anders aus.
Na, sie klingt schon anders, nur ähnlich. Ungeübte Ohren hören allerdings keinen Unterschied.
Nun zur Bauart: Du siehst eine große Kalebasse mit Tierhaut bespannt. Das ist der Resonanzkörper. An der Seite ist die Resonanz-Öffnung. Dann siehst Du drei Hölzer nach oben gerichtet; der mittlere und große Stab mit seinen 21 Umwicklungen nimmt die Saiten auf, die auch hier gestimmt werden. Die beiden seitlichen und kürzeren Stäbe sind für die Hände. Jeweils zwei Finger pro Hand zupfen die Saiten. Oft in sehr rascher Folge. Die ersten vier Saiten (von oben gesehen) sind die Bass-Saiten und führen nur nach links (linke Hand), die anderen gehen abwechselnd nach links und rechts.
Je nach Region und was man spielen will wird unterschiedlich gestimmt. Unabhängig davon gibt es drei Hauptstimmungen: Hardin, was ich meistens spiele, ist nach einer Dur-Tonleiter gestimmt. Dann Sauta in einer F‑Dur Tonleiter und schließlich Tomora für Kriegslieder. Da werden, ausgehend von der F‑Dur Tonleiter, in allen Oktaven die C- und G‑Töne um einen halben Ton erhöht. Das klingt dann nicht mehr so harmonisch, eher arabisch. Aber wie ich schon angedeutet habe, wird regional schon mal insgesamt höher gestimmt oder komplett auf die Stimmung eines Liedes. Diese Stimmlage hat dann mit unserer Tonfolge (Kammerton 440 Herz etc.) nichts mehr zu tun. Nur hier im Zusammenspiel mit anderen Musikern bin ich darauf angewiesen, mich an die westlichen Tonhöhen anzupassen.
Tormenta, Du und Deine Band, ihr macht eine so schöne Musik, da würde ich gerne das Recht haben, einige Lieder als Hörprobe anzubieten, direkt aus diesem Interview heraus. Was meinst Du dazu?
Du kannst Dir aussuchen und verwenden was Du willst, Lieder von allen CDs und Bilder aus meinem Internet-Auftritt. Die Menschen sollen die Lieder ungestört hören können, das ist eh die beste Reklame. Von ängstlichen Qualitäts- und Zeitbeschneidungen, wie es bei den meisten Hörproben üblich ist, halte ich nicht viel.
Das ist ein schönes Angebot, unsere Leser werden es Dir danken und ich werde davon Gebrauch machen. Ich danke Dir auch, dass Du Dir gute drei Stunden für mich Zeit genommen hast.
Interview: Günter Weeren