“Erwachsene werden zu Kindern”

«Oggers­heim.» Die Zuhö­rer und ihre Natio­nen sind am ver­gan­ge­nen Mitt­woch im Oggers­hei­mer Kol­ping­haus eben­so viel­fäl­tig gewe­sen wie die Geschich­ten, die drei Erzäh­ler beim Inter­na­tio­na­len Erzähl­fest prä­sen­tier­ten. Denn im Café Wel­co­me lädt der Arbeits­kreis Flücht­lin­ge jede Woche Men­schen mit Flucht- und Migra­ti­ons­hin­ter­grund zum Zusam­men­sein bei Kaf­fee und Kuchen ein.

Die Viel­falt der Her­kunfts­län­der und mit ihnen die ver­schie­de­nen Spra­chen stell­ten die Ver­an­stal­ter vor die Fra­ge: „In wel­cher Spra­che erzäh­len wir?“, berich­te­te Susan­ne Tig­ge­mann als künst­le­ri­sche Lei­te­rin des Erzähl­fes­tes. Sie und ihre Mit­strei­ter hät­ten sich für Deutsch ent­schie­den – die Spra­che, die die Migran­ten ja auch in Kur­sen erlernen. 

Ganz ohne Ver­ständ­nis­pro­ble­me ging der Nach­mit­tag sicher nicht über die Büh­ne. Den­noch lausch­ten alle Zuhö­rer gebannt den fas­zi­nie­ren­den Geschich­ten. Den Bogen zwi­schen den Zuhö­rern, die teil­wei­se ihre Hei­mat ver­las­sen muss­ten, und einer Figur in ihrer Geschich­te, die in einem frem­den Land gelan­det ist, spann Susan­ne Tig­ge­mann. Die Erzäh­le­rin, seit 30 Jah­ren im Thea­ter­fach aktiv, ließ vor den Augen der Gäs­te mimisch und ges­tisch die Erleb­nis­se einer Frau leben­dig wer­den, die die Spra­che ihrer neu­en Hei­mat nicht ver­steht und auf wun­der­sa­me Wei­se – durch das Pro­bie­ren der Wor­te mit ihrem Fin­ger – den Schlüs­sel zum Ver­ständ­nis fin­det. Mit einer Mischung aus Weis­heit, Humor und Span­nung waren die Geschich­ten von Erzäh­le­rin Maria Car­me­la Mari­nel­li gewürzt. 

Die Ita­lie­ne­rin ent­führ­te die Zuhö­rer mit ihrer fan­tas­ti­schen Geschich­te, wie der Reis in die Welt kam, nach Japan. Einem alter Japa­ner wächst nicht nur ein Apfel­baum auf dem Kopf, son­dern auch ein Karp­fen­teich und am Schluss sogar ein Reis­feld. Die tem­pe­ra­ment­vol­le Ita­lie­ne­rin saß beim Erzäh­len sel­ten still. Sie war mit Leib und See­le dabei, ihre Geschich­ten vor den Zuhö­rern aus­zu­brei­ten. Nur wäh­rend sie Lie­der des ita­lie­ni­schen Lie­der­ma­chers Ange­lo Bran­du­ar­di zum Bes­ten gab, saß sie – wenn auch immer nur für weni­ge Minu­ten – mit ihrer Gitar­re auf einem Stuhl. Mit Fra­gen wie „Wie heißt Hund auf Far­si?“ und „Wie heißt Kat­ze auf Fran­zö­sisch?“ bezog sie die Zuhö­rer mit ein und gab ihrer Erzäh­lung eine mehr­spra­chi­ge Dimension. 

Mit sei­nem ganz beson­de­ren Instru­ment, einer west­afri­ka­ni­schen Har­fen­lau­te, schmück­te Tor­men­ta Jobar­teh sei­ne Geschich­ten. „Das ist eine Kora – sie wird aus einem Kür­bis gemacht, mit Kuh­haut über­zo­gen und hat einen Holz­steg qua­si als Rück­grat“, erklär­te der gebür­ti­ge Münch­ner mit einer „afri­ka­ni­schen See­le“, wie er von sich sag­te. Mit der melo­di­schen Musik stimm­te er auf eine Geschich­te mit phi­lo­so­phi­schem Hin­ter­grund ein. Ums Schen­ken und Beschenkt­wer­den ging es in sei­ner Erzäh­lung, deren Haupt­fi­gur, ein afri­ka­ni­scher Bau­er, die schöns­te Man­go in sei­nem Gar­ten sei­nem König schenk­te. Dass Schen­ken eine Kunst ist, die nicht jeder beherrscht, woll­te wohl Tor­men­ta Jobar­teh damit sagen: „Ein Geschenk ist immer so viel wert, wie das Herz des­je­ni­gen, der etwas schenkt.“ Es war ein Nach­mit­tag mit klu­gen, wei­sen, humor­vol­len, fan­tas­ti­schen und mär­chen­haf­ten Geschich­ten , die bei allen offen­sicht­lich gut anka­men und zum Schmun­zeln anregten. 

Ange­li­ka Schmidt aus Lud­wigs­ha­fen hat die anschau­li­che Erzähl­wei­se gut gefal­len: „Am bes­ten hat mir die ers­te Geschich­te mit der Man­go gefal­len“, ver­riet sie. In ihrer Hei­mat wird sehr viel erzählt, berich­te­ten Shadi Wafai aus Syri­en und Japan Derar aus Eri­trea, die oft ins Café Wel­co­me kom­men. Die bei­den leben seit eini­ger Zeit in Lud­wigs­ha­fen. „Zu Hau­se haben wir jeden Tag Geschich­ten erzählt bekom­men – auch vor dem Ein­schla­fen“, erin­ner­te sich Derar. Und sie haben sogar Geschich­ten wie­der­erkannt, die sie auch aus ihrer Hei­mat ken­nen. „Sehr ent­span­nend, ein­fach zuzu­hö­ren – ein­fach klas­se“, fand Rein­hild Burg­dör­fer. Die pro­tes­tan­ti­sche Pfar­re­rin war eine der Gast­ge­ber. Auch die Erzäh­ler freu­ten sich über das auf­merk­sa­me Publi­kum. „Die Leu­te waren dabei. Es war eine schö­ne Atmo­sphä­re“, fand Susan­ne Tig­ge­mann. „Die Welt sitzt zusam­men an einem Tisch“, sag­te sie zu den ver­schie­de­nen Natio­na­li­tä­ten im Publi­kum. Durch die freie Erzähl­wei­se wer­de das Ver­ständ­nis erleich­tert: „Es kommt aufs Nach­füh­len an, und es ent­ste­hen beim Erzäh­len Bil­der im Kopf der Zuhö­rer“, mein­te Tig­ge­mann. „Beim Erzäh­len wer­den Erwach­se­ne zu Kin­dern“, fand Maria Car­me­la Marinelli.

RHEINPFALZ Redak­ti­on — 27.09.2017

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