“Die Kraft und Magie des Erzählens”
Viele der Geschichten, die Tormenta Jobarteh an diesem Abend erzählt, spielen auf afrikanischen Märkten. Jenen Plätzen, auf denen sich buntes pralles Leben abspielt, sich Händler und Käufer begegnen und manch Wundersames geschieht. Zum Beispiel in der Geschichte vom Markthändler in Gambia, der lauthals ein Hühnchen für 1000 Dalasi anpreist. Was das Hühnchen denn kann, wenn es so viel kostet, wird er gefragt. Das Hühnchen kann sprechen. Dann verlangt ein anderer Händler für einen Truthahn sogar 2000 Dalasi. Was der Truthahn kann? Er kann zuhören.
Solche mündlich überlieferten Geschichten aus Afrika, die Humor, Lebensklugheit und Weisheit verknüpfen, werden zum Auftakt des Weiler Erzählerfestivals im Kulturzentrum Kesselhaus lebendig. Tormenta Jobarteh, ein “Griot”, ein Musiker und Erzähler aus Gambia, verwandelt die kleine Bühne in einen pulsierenden afrikanischen Marktplatz. Wenn der Geschichtenerzähler im langen blauen Gewand mit elementarem Rhythmus die “Talking Drum”, die sprechende Trommel, schlägt, oder die Kora, die traditionelle Harfenlaute, die Königin der afrikanischen Instrumente, spielt, dazu afrikanische Lieder singt und abwechselnd auf Deutsch und in “Gambia-Englisch” diese mythischen, lehrreichen und hintersinnigen Geschichten frei vorträgt, ist das Publikum gebannt von der fesselnden Kraft und Magie der Erzählkunst.
Tormenta Jobarteh ist ein gebürtiger Deutscher, der seit 25 Jahren in Afrika lebt, tief verwurzelt ist mit der dortigen Tradition, Musik und Kultur. Er beherrscht das Spiel auf der Kora und der archaischen Trommel wie die Einheimischen. Und er versteht sich packend und mitreißend auf das ursprüngliche Ritual des Erzählens, wie es heute noch in Afrika auf dem Land gepflegt wird, wenn sich die Menschen um das Feuer setzen und es heißt: Taling Taling. Der Erzähler schmückt die überlieferten Geschichten aus und spinnt den Faden weiter.
Die Ansansi-Story, die er in seinem Fundus hat, stammt aus Ghana. Anansi ist eine Figur aus afrikanischen Mythen, die gern als schlaue Spinne beschrieben wird. In dieser Geschichte hat Anansi einen letzten Wunsch: Wenn er stirbt, will er in einem Loch im seinem Yams-Feld begraben werden, mitsamt einem Ofen, einem Topf und Öl, damit er in der anderen Welt seine Yams genießen kann. Frau und Kinder erfüllen ihm den Wunsch, und der totgeglaubte Anansi kommt aus seinem Grab, um sich sein Essen zuzubereiten, und das Feld wird immer leerer.
Aus Mali, wo der alte Volksstamm der Dogon teils noch in höhlenartigen Bauten lebt, stammt die nächste Geschichte, die Tormenta Jobarteh in seiner hinreißend lebendigen, schauspielerischen Erzählkunst zum Besten gibt. Mit exotischen Instrumenten imitiert er Geräusche eines Unwetters und brausenden Wind und versetzt die Zuhörer in den afrikanischen Busch, wo ein hungriger Jäger in einer Höhle auf eine Hexe trifft und es mit drei versteckten Teufeln zu tun bekommt. Auf der Flucht ins Dorf schleudert er einen Stein nach dem Teufel, der in abertausende winzige Teufelchen zerspringt – genau die Teufelchen, die bis zum heutigen Tage die Menschen ärgern.
Eine andere symbolträchtige Erzählung, die Tormenta Jobarteh mit Klängen auf der Kora begleitet, heißt “Die Macht und die Liebe”. Als Zwillinge geboren, ziehen sie durch die Welt und machen Arme reich und Reiche glücklich. Bis ihnen der Neid begegnet und die Macht sich mit Waffen und Soldaten umgibt, den Menschen den Frieden raubt und es dunkel und kalt auf der Welt wird. Die Liebe wird erst wieder stark, als sich die Macht wieder mit ihr versöhnt.
Ein afrikanisches Tuch über den Stuhl gelegt, gestenreich, mit ausdrucksvoller Mimik die Szenen und Figuren ausmalend, lässt der begnadete Erzähler suggestive Bilder entstehen, Klänge, Gerüche, Farben, Rhythmen, die einen verzaubern und in fremde Welten hineinziehen. Sei es in der Geschichte von Nasreddin, der zum Festessen beim König eingeladen wird und feststellen muss, dass er nur nach seiner Kleidung beurteilt wird – die Macht der Kleider! –, oder in der berührenden Legende vom großherzigen König, der einer Löwin hilft und von dem majestätischen Tier ein besonderes Geschenk bekommt: die Melone, die köstlichste Frucht, die der König je genossen hat. Ja, man erfährt an diesem stimmungsdichten Eröffnungsabend des Erzählerfestivals auch, warum der Ärger der anderen süßer ist, als der eigene und wie in einer Kalebasse die Weisheit der ganzen Welt steckt.
– Erzählfestival Weil am Rhein heute, Samstag, 20 Uhr, Altes Rathaus: “Vom Nomadenzelt zur Raketenkaserne” mit Charles Aceval und Hansjörg Ostermayer; 20 Uhr, Kesselhaus “Nachtnomaden”; Sonntag, 20 Uhr, Kesselhaus: “Pate, Pasta, Tarantella” mit Raffaele Sciortino und dem Duo “Zart besaitet”